Rettungsorganisationen üben gemeinsam im Osthafen für den Ernstfall
Frankfurt - Ein Mann steht am Fenster im zweiten Stock eines Gebäudes im Frankfurter Ostend und ruft verzweifelt, „Hilfe, hier liegen fünf Leute auf dem Boden. Sagt mir endlich was ich machen soll!“. Wenig später werden vier rußbeschmierte und hustende Frauen von mehreren Feuerwehrleuten aus dem Gebäude gebracht. Niemand von ihnen ist ernsthaft verletzt. Es sind Mimen, die eine Rolle in dem Drehbuch der Katastrophenschutzübung „Frankopia“ am Samstagnachmittag spielen. Die Einsatzkräfte wissen zwar, dass es eine Übung ist, „aber nicht wie die Schadenslage ist und was sie erwartet“, erklärt Alexander Mann, Sprecher vom Technischen Hilfswerk.
Jedes Jahr üben alle Rettungsorganisationen einen Großeinsatz, um bei Gefahrenlagen vorbereitet zu sein. Das diesjährige Szenario ist angelehnt an einen Tanklasterunfall in Herborn 1987. Bei dem Großbrand kamen damals sechs Menschen ums Leben und 38 wurden verletzt. Benzin war in die Kanalisation eingedrungen und ein Funken hatte mehrere Explosionen ausgelöst.
Für die Übung steht ein Gelände am Osthafen zur Verfügung, das zum Hafenmanagement gehört. Benedikt Spiller, Leitender Branddirektor bei der Frankfurter Feuerwehr, ist den Betrieben dankbar, die den Rettungskräften die Schlüssel für die Gebäude überlassen. „So ein Objekt zu kriegen, ist der eigentliche Knackpunkt“, sagt er.
Gegen 14 Uhr beginnt die Großübung mit einem Knall. Ein blaues Auto geht in Flammen auf. Ein Anruf bei der Notrufzentrale geht ein und dann gibt es erneut einen Knall. Rund fünf Minuten später ist das Heulen von Dutzenden Sirenen zu hören. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW) und Rettungswagen fahren über die Honsellbrücke zum Unfallort. Mehrere Verletzte liegen am Boden, eine Schaulustige filmt mit einem Handy das Geschehen. „Das größte Problem ist der toxische Rauch, der entsteht“, sagt Norbert Klein, Fachberater beim Technischen Hilfswerk, der die Übung mitorganisiert hat.
Dunkle Rauchwolken steigen auf, die ersten Verletzten werden versorgt. Dabei gilt: Welche Organisation zuerst da ist, versorgt die Verwundeten bis sie zum Rettungswagen transportiert werden können. Dabei müssen die Betreuungsdienste vorsortieren. Ist jemand schwer verletzt und braucht umgehend eine Behandlung, erhält er oder sie ein rotes Umhängeschild. Ist jemand mittelschwer verletzt, ein gelbes, und ist jemand nur leicht verletzt, ein grünes. „Da muss man manchmal knallhart sein“, sagt Stephanie Kreuzer vom THW. Eine Frau, die einen Arm verloren hat, liegt direkt neben dem Auto und wird erst nach mehreren Minuten versorgt, während drei andere Frauen bereits zur Rettungsstation begleitet werden. Auch die Schaulustige wird weggeführt. Im Nachhinein wird es eine Manöverkritik geben.
250 Rettungskräfte im Einsatz
Immer mehr Fahrzeuge kommen an. Am Ende werden es 80 sein und rund 250 Rettungskräfte. Während das Fahrzeug von der Feuerwehr gelöscht wird, holt ein Mitarbeiter des THW eine Bohrmaschine aus dem Einsatzfahrzeug und reicht sie einem Kollegen durch das Fenster des Gebäudes. Darin sind mehrere Personen eingeschlossen, der Zugang zum Treppenhaus ist versperrt. „Es ist ein Hindernis aus Holz aufgebaut worden“, berichtet Alexander Mann. Die Hilfskräfte müssen sich einen Weg bahnen, um die Menschen aus den oberen Geschossen zu befreien. Dafür legen die Feuerwehrmänner Gasmasken an und tragen Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. „Je nach Konstitution und Anstrengung hält man damit 20 bis 30 Minuten aus“, sagt Veith Bosenbecker von der Branddirektion Frankfurt. Plötzlich dringt ein durchdringendes Pfeifen über das Gelände. Eine der Sauerstoffflaschen muss gewechselt werden.
„Entscheidend ist, dass wir genügend Leute haben, die wir durchwechseln können“, sagt Norbert Klein vom THW. Am Freitag habe es einen Brand bei der FES gegeben, wo Kunststoff gebrannt habe, der nur schwer zu löschen sei. Bei größeren Brandeinsätzen könnten schon mal 400 Feuerwehrleute ganz schnell verbraucht werden. „Vor ein paar Jahren mussten wir im Sommer mal eine Übung abbrechen, weil wir zu viele Kreislaufkollapse hatten“, berichtet Klein. Zwar sei es eine Übung, aber irgendwann würden die Einsatzkräfte das nicht mehr merken und einfach handeln.
„Ich finde es immer wieder interessant zu sehen, wie stressresistent die Führungskräfte sind“, sagt Benedikt Spiller. Einige der Mimen, die zu den Rettungsorganisationen gehören, spielen ihre Rollen sehr überzeugend. Sie rufen und stöhnen, fordern Hilfe ein. „Wir können keine Wunder vollbringen“, sagt Spiller. Viele unterschätzten den Faktor Zeit. Vier oder fünf Minuten können im Extremfall sehr lange sein. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal hätten einige Menschen für Stunden alleine klarkommen müssen. In der Stadt sei das durch die kürzeren Wege einfacher.
Nach rund zwei Stunden ist die Übung beendet. Die meisten Einsatzkräfte sind dabei Ehrenamtliche, die sich in den verschiedenen Organisationen engagieren. „Es ist wichtig, dass die uns nicht davonlaufen“, sagt Norbert Klein. Das wahre Gut seien die Menschen, die sich engagierten.
Timur Tinc