Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst leidet unter gestörtem Arzt-System
Frankfurt – Weil immer mehr Menschen ohne einen Notfall anrufen, ist die Leitstelle der Feuerwehr in Frankfurt seit langem überlastet. Damit dennoch bei 95 Prozent aller Anrufe nach spätestens zehn Sekunden ein Disponent jeden Anruf entgegennimmt, musste die Berufsfeuerwehr viel Personal hierher umsetzen. Gelöst ist das Problem damit nicht.
Das spürt Alexander Gärtner (28) aus Kalbach, wenn er eine 24-Stunden-Schicht an einem der 18 Disponenten-Arbeitsplätze absolviert. Neun Stunden lang nimmt er dann hier Anrufe an die 112 an: „Notruf Feuerwehr und Rettungsdienst“, meldet er sich. Die Verkäuferin einer Bäckerei im Dornbusch ruft an. Ein Mann sitze im Laden auf einem Stuhl, er wolle nicht gehen und er wirke, als gehe es ihm nicht gut.
Gärtner fragt nach, der Mann sitzt offenbar schon länger dort, hat vom Personal eine Cola bekommen. Wie es ihm geht? Die Verkäuferin weiß es nicht. Gärtner bittet sie, zu fragen, ob er den Rettungsdienst wolle. Keine Reaktion. „Dann sende ich die Kollegen, aber ohne Blaulicht“, sagt er der Anruferin. „Falls sich etwas an der Lage ändert, rufen Sie bitte noch mal an, ja?“ Sie sagt Ja.
Allzu gerne hätte Alex Gärtner diesen Rettungsdiensteinsatz verhindert. Doch im Zweifel werden die Kollegen immer alarmiert. Auch wenn Rettungsdienst und Leitstelle seit geraumer Zeit sehr stark belastet sind. Wie stark, hat der ausgebildete Notfallsanitäter und Berufsfeuerwehrmann in seiner Zeit auf der Wache 3 in Nied lange selbst erlebt. Bis auch er in die Leitstelle wechselte, wegen Überlastung dort.
„Die kassenärztliche Akutversorgung funktioniert nicht mehr“, sagt Leitstellenleiter Frank Ditzel. „Das fällt uns vor die Füße.“ Und: „Die Menschen sind nicht mehr in der Lage, mit einfachen Krankheiten umzugehen“, sagt Direktionsbereichsleiter Andreas Ruhs. „Gefühlt“ gehe es jedem schlecht. In der Bevölkerung gehe die Routine verloren, mit Erkrankungen umzugehen.
Schneller zu Hilfe mit Fachleuten am Hörer
Manche Menschen gingen nicht zum Hausarzt, andere bekämen beim ärztlichen Notdienst unter 116117 keine Hilfe. Manche erhofften sich eine schnellere Behandlung im Krankenhaus, wenn sie per Rettungswagen dorthin kommen. Ein Trugschluss, sagt Ruhs. „Dort wird jeder triagiert.“ Die Notaufnahme prüfe immer, wie eilig es sei.
Doch nur, wenn es lebensbedrohlich ist, ist die 112 die richtige Adresse. 50 Einsätze laufen stadtweit fast immer gleichzeitig, in der Spitze sogar 70, koordiniert von der Leitstelle im Brandschutzzentrum (BKRZ) im Marbachweg. Die Abwechslung mag Alex Gärtner. „Man weiß nie, was kommt.“ Mit seiner Erfahrung schnell im Gespräch aufzuspüren, was passiert ist, das reizt ihn. Dabei stellen die Disponenten den Anrufern erst einmal nur die eine offene Frage, lassen sie dann reden, fragen nur gezielt nach.
Diese „strukturierte Abfrage“ mit hoch qualifiziertem Personal bringe die schnellsten Ergebnisse, erklärt Frank Ditzel. Einige andere Leitstellen hätten wegen des Personalmangels Quereinsteiger an die Notruf-Telefone gesetzt, die eine „standardisierte Abfrage“ machen, einen festen Fragenkatalog durchgehen.
Das haben sich die Frankfurter auch angeschaut – und verworfen. Zu lange dauere es, und die Einsatzkräfte würden stärker belastet, weil sie fast immer ausrücken müssten. Frankfurt setzt auf „viel Kompetenz beim Mitarbeiter am Telefon“, sagt Ditzel, „um bewerten zu können, was der Bürger schildert“. So ist Hilfe schneller und gezielter möglich. Ihr Vorgehen lassen die Frankfurter wissenschaftlich begleiten. Nur vier Prozent der Rettungsdienstpatienten seien wirklich in Lebensgefahr, bei 15,4 Prozent könne es nicht ausgeschlossen werden, sagt Deike Böhly, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Branddirektion. „Das muss der Disponent herausfinden.“ Jemand ohne Erfahrung könne das nicht.
Nachdem 2024 das spontane Umsetzen von 40 Mitarbeitern aus den Feuerwachen auf die Leitstelle zwar den Notruf sicherte, mussten die Lücken im Wachpersonal gefüllt werden – was inzwischen erfolgt ist, nachdem die Stadt neue Personalstellen freigab.
Kaum hat Alex Gärtner den Rettungsdienst in die Bäckerei geschickt, der nächste Anruf. Eine bewusstlose Person in einem Laden im Gallus. „Legen Sie ihn in die stabile Seitenlage – wissen Sie, wie das geht?“ Ja, der Anrufer weiß es. „Notarzt und Rettungswagen sind gleich da.“ Meist dauert ein Gespräch eine gute Minute. Für diese schnelle Hilfe ist die 112 da.
DENNIS PFEIFFER-GOLDMANN
178 000 Notrufe – und keine Problemlösung
- 178 000 Notrufe auf der 112 hat die Leitstelle der Branddirektion für Feuerwehr und Rettungsdienst 2024 entgegengenommen. 100 Mitarbeiter arbeiten in der Leitstelle.
- Die Feuerwehr musste 2024 zu 7900 Bränden und 6600 technischen Hilfeleistungen ausrücken. Der Rettungsdienst wurde im Jahr 2024 zu 158 000 Einsätzen alarmiert.
- Wie sich das Problem der vielen Bagatellanrufe lösen lässt? Das System der ärztlichen Bereitschaftsdienste und dessen Erreichbarkeit müsse wieder signifikant besser werden, sagt Leitstellenleiter Frank Ditzel, damit die Bürger dort Hilfe bekommen. Auch wünscht sich die Branddirektion eine Verzahnung von Notruf 112 und ärztlichem Notdienst 116117, um Fälle direkt auszutauschen, wie es das früher in Frankfurt gab. Das zu ändern ist allerdings Sache von Ärzten und Bundespolitik.
DPG